Die Liebe ist langmütig und freundlich. 1. Korinther 13,4
30 Jahre Kontakte nach Chanka
1. Ein Brief Siegfried Menthels an den Bischoff Dr. Gottfried Forck, August 1991
Lieber Bruder Forck!
Wir schreiben Ihnen diesen Brief aus einer großen Sorge und mit der Bitte um Ihre Unterstützung:
Seit vielen Monaten wird immer wieder einmal in den Medien sehr sporadisch erwähnt, daß derzeit in Afrika eine Hungersnot von gigantischen Ausmaßen herrscht. Als Ursachen werden eine seit zwei bis drei Jahren anhaltende Dürre und Bürgerkriege (etwa in Äthiopien, Somalia, Mozambique, Angola) angegeben. Hilfsorganisationen befürchten, diese Hungersnot könne 10 Millionen Menschen das Leben kosten – es war auch schon von 30 Millionen Hungertoten die Rede.
Die Vertreter der Betroffenen haben scheinbar kaum eine Chance, sich in unserer Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, um Hilfsaktionen in die Wege zu leiten. Wir haben uns unsererseits an verschiedene Zeitungen mit der Bitte gewandt, über diese Katastrophe ausführlich zu berichten, Hilfsaufrufe zu veröffentlichen usw. Der Erfolg war gering. Wir beten für die Betroffenen, versuchen mit unseren Möglichkeiten zu helfen.
Dringend notwendig wäre jetzt eine öffentlich Kampagne für die Notleidenden in Afrika.
Dazu erbitten wir Ihre Hilfe. Wir sehen natürlich auch, daß jetzt viele Menschen hier mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt sind – andererseits haben wir immer wieder die Erfahrung machen dürfen, daß die Kleinen und Schwachen am ehesten zur Hilfe bereit sind.
Vielleicht ist es sinnvoll, eine Gruppe von Menschen zusammenzurufen, die überlegt, wie dieses Anliegen am besten öffentlichkeitswirksam wird. Wir könnten uns ein deutliches Wort der Kirchenleitung vorstellen oder einen Aufruf von Prominenten oder eine große Veranstaltung (wie die Rockkonzerte in London zugunsten der Unterdrückten in Südafrika).
Wichtig ist uns auch der Gesichtspunkt, daß wir als Bürger der ehemaligen DDR gegenüber dem am meisten betroffenen Land – Äthiopien (allein dort befürchtet man 7 Millionen Hungertote !) – eine besondere Verpflichtung haben: Unser Land hat das Mengistu-Regime mit Waffen und Stasi-Beratern gestützt. Dieses Regime ist eine der wesentlichen Ursachen der jetztigen Katastrophe.
Lieber Bruder Forck, wir schreiben Ihnen diesen Brief, weil wir wissen, daß auch Ihr Herz an dieser Stelle schlägt und Ihr Wort in der Öffentlichkeit Gewicht hat. Wenn wir Sie heute bitten, sich für dieses Anliegen zu verwenden, möchten wir zugleich auch unsere Hilfe beim Zustandekommen einer Kampagne gegen den Hunger in Afrika anbieten.
Mit freundlichen Grüßen und allen guten Wünschen!
Berlin, im August 1991
Es folgen 121 Unterschriften von Gemeindegliedern aus Müggelheim, Schmöckwitz, von Mitgliedern des Friedenskreises Köpenick, sowie des Ausschusses Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung der Landessynode Berlin-Brandenburg
2. Reaktionen
Im September antwortete uns der damalige persönliche Referent des Bischofs, Michael Passauer. Er schrieb, dass der Bischof gerade deutsche Gemeinden in der Sowjetunion besuche und wenige Tage nach seiner Rückkehr sein Ruhestand beginne, sodass er „kaum noch größere Dinge in Gang setzen kann“. Dennoch solle ihm unser Brief zur Kenntnis gegeben werden. Zur selben Zeit erhielten wir einen Brief von Prof. Dr. Gunnar Hasselblatt, dem damaligen Äthiopien-Referenten des (West-)Berliner Missionswerkes:
Sehr geehrter Herr Menthel!
Auf irgendwelchen Umwegen ist Ihr Brief (Aug.91) an Bischof Forck zu mir gelangt. Ich finde Ihre Initiative sehr notwendig und möchte einige Bemerkungen dazu machen. Das Berliner Missionswerk hat seit Jahren um die Weihnachtszeit in Zeitungsberichten und andern Medienaufrufen die Hungersnot in Äthiopien an die Öffentlichkeit gebracht. Bischof Scharf, Bischof Kruse und Propst Hollm haben sich an diesen Aufrufen durch ein persönliches Wort beteiligt. Wir beabsichtigen das auch in diesem Jahr. Leider haben die großen Hilfsorganisationen, die sehr pauschal über regierungsnahe Kanäle in den armen Ländern helfen wollten, das Übel nicht an der Wurzel fassen können und nicht verhindern können, daß die Katastrophe immer größer wurde. Meines Erachtens liegt das auch an einer undifferenzierten Pauschalisierung der Hilfe. Die Diktatur in Addis Abeba ist durch riesige Hilfsmaßnahmen gestärkt und wahrscheinlich verlängert worden. Der Lutherische Weltbund hat sogar die Zwangsumsiedlungen und die Zwangsverdorfungen gutgeheißen und unterstützt (ebenso wie Karlheinz Böhm mit seiner Privatinitiative, die allerdings sehr viel Geld bekommt, weil er als ehemaliger Schauspieler leichten Zugang zu den Medien hat). Das Berliner Missionswerk hat immer gezielt das Oromo-Hilfswerk unterstützt und damit die Opfer der Zwangsmaßnahmen der Regierung erreicht. Ironischerweise könnte man sagen, daß das Berliner Missionswerk denen helfen mußte, die durch die Hilfsmaßnahmen auf Regierungsseite (Umsiedlung, Zwangsverdorfung) in äußerste Not geraten waren. Ihr Brief legt mir den Gedanken nahe, Bischof Forck zu bitten, bei der Zeitungsbeilage zur Weihnachtszeit in diesem Jahr das entsprechende Vorwort oder den Aufruf zu verfassen.
Mit freundlichen Grüßen!
Prof. Dr. Gunnar Hasselblatt
Dieses Ergebnis unserer Bemühungen fiel zwar deutlich bescheidener aus als erhofft. Aber es wurde zum Beginn einer langen Geschichte. Wir haben bald darauf Prof. Hasselblatt persönlich kennengelernt.
Er besuchte uns einige Male in unserer Schmöckwitzer Gemeinde, predigte bei uns, setzte sich anschließend mit Interessierten zusammen und berichtete über die Situation in Äthiopien. Es lag ihm besonders am Herzen, uns dafür zu gewinnen, „mit hier in Berlin lebenden Oromos Kontakt aufzunehmen“.
Bis es dazu kam, verging einige Zeit.
Ich wurde eingeladen, im Arbeitskreis „Horn von Afrika“ der Berliner Mission mitzuarbeiten. Dort begegnete ich dem Nachfolger von Prof. Hasselblatt, Pfarrer Gerd Decke. Durch ihn erfuhren wir von den Projekten der Berliner Mission in Chanka, in der Region Western Wollega. Damals gab in unseren Gemeinden Berlin-Müggelheim und Berlin-Schmöckwitz schon seit zwölf Jahren eine sommerliche Benefiz-Konzertreihe für Projekte in Afrika.
Seit 1994 beteiligten wir uns mit deren Erlösen an Projekten in Chanka. So begann unsere Projektpartnerschaft.
3. Die ersten Projekte 1994 bis 2001
Wir stellten unsere eingesammelten Spenden (6.000,00 – 10.000,00 DM/Jahr)der Berliner Mission zur Verfügung. Von dort bekamen wir detaillierte Informationen über die jeweils mitzufinanzierenden Projekte. Im ersten Jahr unserer Zusammenarbeit baten wir die Zuhörer unserer Konzerte, mit ihren Spenden die Arbeit eines Tierarztes in Chanka zu ermöglichen. Der hatte in der Sowjetunion studiert, aber es fehlte an Medikamenten und Instrumenten. Später haben wir Geld gesammelt für die Einfassung von Quellen, um das Trinkwasser vor Verunreinigungen zu schützen (dazu wird ein Wasserrohr in die Quelle geführt und mit einem Betonmantel umhüllt – das fließt aus einem Wasserhahn); dann für den Neubau dringend erwarteter Gebäude für die Grundschule; später für den Neubau und die Einrichtung eines Kindergartens.